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Verabschiedung von Sabine Hanke und Joachim Friederich im Juli 2017

Sie kamen am 1. 2. 1980 (Hanke), bzw. am 24. 8. 1981, ans „Kepler“. Das sind 36 bzw. 37 Jahre. Wie fühlt es sich an, auf eine so lange Zeit als Lehrer zurückzublicken?
Sabine Hanke: Rückblickend schrumpft die Zeit und kommt mir relativ kurz vor. Jeder Tag war angefüllt mit wertvollen Erlebnissen und hatte seine besondere Färbung. Ein ständigen Geben und Nehmen. Ich war im guten Austausch mit den Schüler/innen, Kolleg/innen und Eltern. Zu Vielen habe ich heute noch Kontakt. Der Beruf hat mir immer Spaß gemacht und war sehr lebendig, aber auch anspruchsvoll und energiezehrend. Die Kombination von Vermittlung einer Wissenschaft und dem psychologischen Aspekt des Miteinander fand ich ausgesprochen reizvoll. Leider erfährt der Lehrerberuf bei der Bevölkerung nicht die Wertschätzung, die ihm zusteht, da die Menschen nicht wirklich sehen können, welche Aufgaben wir zu bewältigen haben. Der Unterricht ist nur ein Teil des Ganzen. Es war mir immer ein Anliegen, die Eltern und die Schüler/innen hier aufzuklären.
Joachim Friederich: Im normalen Alltag merkt man gar nicht, dass man jeden Tag einen Tag älter wird. Bei besonderen Anlässen allerdings wird es einem bewusst, und man ist selbst erstaunt über die Anzahl der Jahre. Solche Anlässe sind z.B., wenn die ersten Fünftklässler, die man unterrichtet hat, mit dem Abitur in der Tasche die Schule verlassen. Oder wenn beim Elternabend sich herausstellt, dass eine Mutter oder ein Vater auch schon Schülerin oder Schüler von einem war. Vor zwei Jahren hatte ich 40-jähriges Dienstjubiläum. Kurzum: ich bin vorgewarnt … und trotzdem verwundert!


Pforzheim hat als Stadt nicht den besten Ruf. Was dachten sie, als ihnen gesagt wurde, dass Sie nach Pforzheim kommen?


J.F.: Ich bin in Pforzheim aufgewachsen und hoffe, was den Ruf der Stadt angeht, nur in positivem Sinne beigetragen zu haben. Im Ernst: das Kepler-Gymnasium suchte damals einen Lehrer, der auch eine Lehrbefähigung in Astronomie hatte und ich hatte meine zweite Staatsexamensarbeit in Astronomie angefertigt. Das passte wunderbar. Als ich erfuhr, dass ich ans Kepler-Gymnasium komme, habe ich mich riesig gefreut.
S.H.: Ich musste erst einmal auf der Karte nachsehen, wo Pforzheim überhaupt liegt. Aber Pforzheim ist wesentlich besser und schöner als sein Ruf: Wunderbare Natur, kurze Wege und es hat sich kulturell in den letzten Jahren positiv weiter entwickelt.


An welches Erlebnis bzw. welche Erlebnisse am Kepler erinnern Sie sich besonders gerne?

S.H.: Wenn ich meinem Sohn Nikolas unerwartet im Schulhaus begegnet bin und wir uns heimlich angeblinzelt haben. Als ich in meiner ersten Bioklasse 1980 plötzlich merkte, dass ich in einer reinen Jungenklasse gelandet war. Die morgendlichen fröhlichen Umarmungen in der Biofachschaft. Die umwerfende Zuwendung und Hilfe der Schüler/innen, Kolleg/innen und Eltern während meiner schweren Erkrankung vor einem Jahr. Mein Bio-Kurs, der mich mit 22 Mann im Krankenhaus besucht und sich auch weiterhin um mich gekümmert hat. Alle haben zu meiner Gesundung beigetragen. An dieser Stelle – danke, danke, danke!!!!!
J.F.: Als am 8.6.2004 ein Venustransit stattfand, konnten wir in der Kuppel mit dem Schulfernrohr das Ereignis bei bestem Beobachtungswetter miterleben und dokumentieren. Die gesamte Schulgemeinschaft wurde an diesem Vormittag durch die Kuppel „geschleust“. Es war grandios.
Venustransit 2004 Offene Sternwarte 1986


Was gefiel Ihnen am Schulhaus vor der Renovierung (2005/6) am meisten?

J.F.: Am Kepler-Gebäude haben mir schon immer die Lage im Grünen, die großen Fenster, die lichten und breiten Gänge und Treppen gut gefallen.
S.H.: Unser Logo des Johannes Kepler am Eingang, gemalt von den verstorbenen Kollegen Georg Sander und Wolf Voellner. Leider fiel es – wie auch andere wunderbare Wandbilder der beiden – der Renovierung zum Opfer und wurde von einer Heizung und weißer Farbe überdeckt. Außerdem hatte ich einen riesigen Ammoniten mit Schülern der stufe 1 während einer mehrtägigen Evolutions-Exkursion in Holzmaden gefunden. Er war aufgehängt bei der Sitzecke am Eingang und war auch plötzlich weg.
Studienfahrt Meeresbiologie 2008 Altes Kepler-Wandbild


Worin unterscheidet sich der Schulalltag in den 1980er und 90er Jahren von dem heute?

S.H.: In den 80ern und 90ern waren Lehrerinnen im Bewusstsein der Kollegen ‚Hausfrauen‘ d.h., mit Fachkompetenz Haushalt statt z.B. Biologie oder Mathe. Das Kollegium am Kepler war ein Männerkollegium mit nur ca. 6 Lehrerinnen. Da das Kepler ein math.-nat. Gymnasium war und den Ruf hatte, sehr schwer zu sein, gab es viele reine Jungenklassen. In gemischten Klassen waren die Mädchen in deutlicher Minderzahl. Auf schwangere Kolleginnen oder Kolleginnen mit kleinen Kindern wurde keine/kaum Rücksicht genommen, es wurde eher geraten doch bitte zu Hause zu bleiben und sich um die Erziehung zu kümmern. Elternzeit für Kollegen war undenkbar. Nach 1980 wurden lange Zeit keine neuen Kolleg/innen eingestellt. Etwa 15 Jahre war Einstellungs-Vakuum d.h. die Altersstruktur war nicht im Kontinuum. Mit Anfang 40 gehörte ich immer noch zu den jüngsten Kolleg/innen. Das Deputat umfasste 23 Stunden, ein Leistungskurs wurde mit 6 Stundenverrechnet: 4 Stunden Theorie, 2 Stunden Praktikum. Später kam Stoff dazu, gleichzeitig wurden die Unterrichtsstunden gekürzt. Das Kaffeezimmer war völlig verraucht, Nichtraucher hatten keine Lobby. Die Raucherecke befand sich im Schulgelände. Viele Kollegen gingen in den Ausland-Schuldienst und konnten sich ein Haus nach der Rückkehr bauen. Es gab keinen PC, Ausarbeitungen waren handschriftlich, Klassenarbeiten wurden mit Schreibmaschine auf Matrize geschrieben und über eine Walze vervielfältigt. Es gab kein Handy mit seinen negativen Folgen. Wir leisten heute mehr Erziehungsarbeit. Die Schüler können inzwischen bei Konflikten besser kommunizieren und bei Vorträgen besser präsentieren. Dafür konnten die Schüler/innen früher besser rechtschreiben. Mit der Bildungsplanreform 2004 sind neue Fächer und Fächerverbünde hinzugekommen. Das Kepler ging weg vom reinen math-nat-Zug zu den Profilen NwT, Kunst und Italienisch. Es wird jetzt Wert auf zum Beispiel Medienkompetenz, Wirtschaftserziehung, Berufsorientierung und Präsentationsfähigkeit gelegt d.h. neue Innovationsfelder wurden geschaffen, es gibt mehr Heterogenität. Die Handhabung des PC wurde irgendwann als selbstverständlich vorausgesetzt und hat den Anspruch an die Form einer z.B. Seminararbeit deutlich erhöht. Informationen wurden /werden nur noch online weitergegeben. Vieles ist von zu Hause abrufbar. Daneben gab es Selbst- und Fremdevaluationen mit enormem Aufwand. Schulcurricula wurden in monatelangem Prozess erstellt. Das alles hat sehr viel Zeit und Energie gebunden und durch die neu definierte Vielfalt die Systeme komplexer und schwieriger zu handhaben gemacht. Unruhe ist entstanden. Dafür aber auch positiv Neues.
J.F.: Damals gab es fast keinen Nachmittagsunterricht (außer Sport und einigen Kursen der Oberstufe) und auch kein Doppelstundensystem. Andererseits hatten wir auch keine Schulmensa und keine Hausaufgabenbetreuung.


„Früher hatten die Schüler mehr Freizeit“. Stimmt das?

J.F.: Der Übergang vom G9 zum G8 erfolgte unter der Randbedingung, dass die Unterrichtszeit bis zum Abitur dieselbe ist. Im G8 gibt es deshalb mehr Nachmittagsunterricht, was wiederum zur Folge hat, dass die Freizeit der Schüler knapper bemessen ist.
S.H.: Nein, aber es war alles etwas ruhiger. Das Kerngeschäft Unterricht stand mehr im Vordergrund. Die Schüler/innen waren nicht von den Medien PC und Handy absorbiert.


Wie sieht für Sie die ideale Schule aus?

S.H.: Das kann ich nicht sagen – es gibt viele interessante Modelle – alle haben ihre Stärken und Schwächen. Das Gras auf der anderen Seite des Flusses ist nicht unbedingt grüner. Deshalb war ich am Kepler – auch mit manchen Dingen, die mich geärgert oder enttäuscht haben wie z.B. fehlende Transparenz- oder Streitkultur – ziemlich zufrieden. Der weite Blick aus den Biologiefenstern ist umwerfend, die Lage top und wir haben einen eigenen Sportplatz.
J.F.: In einer idealen Schule werden die Schülerinnen und Schüler in einer freundlichen, altersgemäßen und motivierenden Lernatmosphäre gemäß ihren Möglichkeiten bestmöglich gefördert.


Was macht einen guten Lehrer aus?

J.F.: Wenn ein Lehrer kompetent, gerecht, engagiert, authentisch, motivierend und sympathisch ist und dann auch noch Humor hat, ist das bestimmt kein Fehler.
S.H.: Liebe zum Menschen, hohe Fachkompetenz, Aufmerksamkeit, Gradlinigkeit, Konsequenz, Humor, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, freies und unkonventionelles Denken, Fähigkeit Fehler zuzugeben, Durchhaltevermögen


Wie sieht der „ideale Schüler“ aus?

S.H.: Das kommt darauf an, was man unter ‚gut‘ versteht. Ein fachbezogen leistungsstarker Schüler oder ein Schüler mit hohen Sozialkompetenzen? Beides? Generell vielleicht: pfiffige Neugier, liebevolle Hinwendung zu Neuem, Bereitschaft zur Auseinandersetzung, fröhlich, verantwortungsbereit, selbstständig, teamfähig, respektvoll, kreativ und querdenkend, kommunikationsfähig, Durchhaltevermögen
J.F.: Wenn ein Schüler wissbegierig, lernwillig, konzentrationsfähig, sozialkompetent und selbstbewusst ist, freut das bestimmt sowohl seine Eltern als auch seine Lehrer.


Welche Ratschläge würden Sie jungen Kollegen mitgeben, die bis zum Erreichen ihres Ruhestands gesund und motiviert bleiben wollen?

J.F.: Wichtig ist, glaube ich, dass man seine Arbeit gerne macht. Sicherlich ist es hilfreich, wenn es gelingt, immer wieder neue Schwerpunkte zu erschließen und in einem harmonischen Team zu arbeiten.
S.H.: 1. seine innere Mitte finden und bewahren: hier ist jede Mediationstechnik gut z.B. ZEN, progressive Muskelentspannung, Yoga, Tai Chi, Atemarbeit nach Middendorf usw. 2. mit sich selbst im Klaren sein, sich durchschauen, damit sich nicht unbewusste Emotionen auf Schüler/innen oder Kolleg/innen übertragen und die Welt der anderen stören. Gleichzeitig muss man die Emotionen des Gegenübers auffangen können. Hier helfen Supervision und Fallbesprechungsgruppen (vom RP angeboten), Kurse in z.B. ‚Gordon-Training‘ und ‚Gewaltfreier Kommunikation‘ oder Angebote wie Lions Quest ‚erwachsen werden‘, 3. Sich selbst, den Eltern und Schüler/innen klar machen, dass wir alle im selben Boot sitzen und letztendlich in dieselbe Richtung rudern. Also miteinander statt gegeneinander. 4. Weniger an Karriere denken, als die Liebe zu sich und den Mitmenschen pflegen 5. Authentisch sein – keine Rolle spielen 6. Trennung von Schule und Privat 7. Den Leistungskorb für Schüler/innen so hoch hängen, dass er mit Anstrengungen erreichbar bleibt. Loben, Erfolgserlebnisse schaffen, Begeisterung wecken, ein fröhliches Lernklima schaffen, damit gerne gelernt wird. Den Schüler/innen zeigen, dass man auf ihrer Seite ist und sie weiterbringen will. 8. Gut zu wissen: jeder ist ersetzbar. 9. ein tägliches Maß an entspannter Bewegung, gesunder Ernährung, nur dezenter Medienkonsum, Spaß haben, Freunde treffen.


Was bedeutet für Sie „Ruhestand“?

S.H.: Etwas sehr Ambivalentes. Ich liebe meinen Beruf. Einerseits ermöglicht es das Mehr an Zeit die Dinge zu verfolgen, die ich schon immer machen wollte z.B. Fotografie, reisen außerhalb der Ferien. Andererseits falle ich jetzt aus der geregelten Tagesstruktur. Es wird also zunächst Disziplin und Kreativität nötig sein, die leeren Tage zu gestalten und einem ‚Stundenplan‘ nachzugehen. Den vielen Kontakten momentan folgt der kontaktarme Tag. Die Lebendigkeit und Vielfalt, der geistige Anspruch und die Menschen der Schule werden mir fehlen. Das Energiezehrende und die Rundumdieuhr-Arbeit werde ich dagegen nicht vermissen. Keine Korrekturen mehr, keine monströsen Berge an zu erledigender Arbeit vor mir, endlich arbeitsfreie Wochenenden und keine minutengenaue Durchtaktung der Vormittage.
J.F.: Zunächst bedeutet es für mich, für viele Dinge, die bislang zu kurz kamen, mehr Zeit zu haben. Und dann freue ich mich auf die Freiheit, mir neue Aufgaben selbst zu stellen.


Das Interview führte Christian Wolf