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Dolmetscherin liegt Politikern im Ohr

Dolmetscher prägen die internationale Politik. Das wird kürzlich beim G20-Gipfel der Regierungschefs in Hamburg wieder einmal deutlich. Setzen sich Angela Merkel, Donald Trump und Wladimir Putin zum gemeinsamen Abendessen an den Tisch, kauern hinter ihnen Übersetzer und flüstern ins Ohr, was der Nebenmann gerade anspricht. Die Dolmetscherin Andrea Sihn-Klasema aus Niefern weiß um die Bedeutung der Übersetzerriegen in der Politik. Seit über 20 Jahren arbeitet sie freiberuflich fürs Europäische Parlament in Straßburg. Und sie ist unter anderem fünf Jahre bei der EU-Kommission in Brüssel gewesen.
Sie kennt die Geschichten, dass Krisen entstehen können, wenn der richtige Dolmetscher fehlt. Das bekommt in Hamburg der US-Präsident zu spüren: Als sich Trump mit Putin zu einem Geheimgespräch zurückzieht, ist nur ein russischer Dolmetscher dabei. Der amerikanische Übersetzer ist in der Nähe, kann aber nur japanisch. Hinterher ist umstritten, was Trump mit Putin genau abgesprochen hat.

Gute Fitness ist wichtig

Der Beruf greift ins internationale Geschehen ein. Er verlangt Sihn-Klasema viel ab. „Die korrekte Sprachübertragung erfordert hohe Konzentration“, sagt die 48-jährige Niefernerin, Tochter des Rundfunk- und Antennentechnikpioniers Frank Sihn (Firma Wisi). „Denn Dolmetscher sind keine Papageien, die nur das nachplappern, was sie hören“, sagt sie. Sie müsse sich richtig fit halten: „in der Mutter- wie auch in meinen Arbeitssprachen.“ Sie übersetzt aus dem Englischen, Französischen, Italienischen, Spanischen und Griechischen ins Deutsche sowie aus dem Deutschen ins Französische – fünf Passivsprachen, eine Aktivsprache. Jede Sitzung will gut vorbereitet sein: „Je besser man sich bei einem Thema auskennt, desto besser ist auch die Leistung.“ Dolmetscher müssen immer aktuell informiert sein – „nicht nur über das deutsche Geschehen, sondern auch über das, was in den Ländern meiner Arbeitssprachen aktuell ist“, sagt sie. Und Dolmetscher müssen verschwiegen sein.
Für Andrea Sihn-Klasema steht der Beruf lange vor dem Abitur am Kepler-Gymnasium in Pforzheim fest: „Schon als ich in der siebten Klasse Französisch lernte, war mir klar, dass ich Dolmetscherin werden wollte.“ Was der Beruf konkret beinhaltet, ist ihr damals noch nicht klar. Sie studiert an der Universität Heidelberg Französisch und Italienisch und hängt nach dem Diplom als Dolmetscherin ein Semester Englisch an.
Sie geht zur Europäischen Union: „Von 1995 bis 2000 war ich zuerst Bedienstete, dann Beamtin bei der Kommission in Brüssel.“ In diesen fünf Jahren lernt sie auch Griechisch. Danach macht sie als freiberufliche Konferenzdolmetscherin weiter – vor allem für das Europäische Parlament, den Europarat und die EU-Kommission.
Sie eignet sich Tempo und Routine an. Aber was ist, wenn sie merkt, dass sich der Redner verspricht? „Ich füge hinzu, dass er es so sagte.“ Manche Wörter hören sich gleich an, bedeuten aber in den Sprachen etwas ganz anderes. Was bei uns prägnant ist, klingt wie das englische pregnant, heißt jedoch schwanger. Sticky fingers seien auf Englisch erstmal „klebrige Finger, meinen in Großbritannien aber Langfinger oder Diebe“, sagt Sihn-Klasema schmunzelnd.
Und dann ist da auch noch eine gute Stimme nötig. Jürgen Stähle, mit seiner tiefen Stimme oft im ZDF-Sportfernsehen zu hören, hat es ihr besonders angetan. Stähles Übersetzungen seien top: „Wie er längere Sätze von Fußballern kurzerhand zusammenfasst, ist klasse.“ Die Kunst eines Dolmetschers eben. Keine Papageien, die etwas nachplappern.

Quelle: PZ vom 12.08.2017, S.33